Mein Freund, der Baum
Enzo beginnt allmählich, eine innige Beziehung zu Bäumen zu entwickeln — aus Gründen, die in Hundekreisen unumstritten sind. Für die Bäume am Herrenbach in Augsburg trifft das Attribut „unumstritten“
nun überhaupt nicht mehr zu. Behörden und Baumschützer streiten wie die Kesselflicker um die Grünanlage, mit deren Rodung vor Kurzem begonnen wurde. Warum Rodung? Weil es dafürzahlreiche gute Gründe
gibt.
„Mein Freund, der Baum, ist tot“, sang im Jahr 1968 Alexandra, die litauische Königin der Romantik-Schnulze mit der Topffrisur. Damals gab es
die ersten Widerstände, wenn Bäume gefällt werden sollten, was bis dato ohne große Hürden (und oft auch ohne großes Nachdenken) ziemlich einfach war. Und dann kamen das „Waldsterben“ (für das die Franzosen bis heute kein eigenes Wort gefunden haben), die Baumschutzverordnungen, die Baumschützer, die
Klimaschützer — und das alles in typisch deutscher Rigorosität. Die jetzige Debatte um die Herrenbach-Bäume ist ein getreues Abbild dieser Kultur, die aus jedem Baum eine „heilige Kuh“ gemacht
hat.
Auch Enzo und ich sind in dem kleinen Park zwischen Reichenberger- und Heinestraße mit rund 100 Bäumen gerne spazieren gegangen und haben uns am Grün erfreut. Und wir haben keinen Moment an die
möglichen Gefahren gedacht, die von Bäumen auf einem Wasserbauwerk ausgehen können. Dabei könnte ich es ja wissen, wie schnell ein Hochwasser unglaubliche Schäden anrichten kann — auch in
Augsburg. Man muss da noch nicht mal das Pfingsthochwasser 1999 auf den Uhlandwiesen bemühen. Ich habe damals als AZ-Reporter darüber berichtet. Und ich habe erlebt, wie in den 1960er Jahren dieses Gebiet schon einmal unter
Wasser stand und mein Vater, kniehoch in den Fluten watend, vesuchte, in unserem Kleingarten an der Uhlandstraße zu retten, was nicht mehr zu retten war.
Was damals im Westen der Stadt geschah, wäre hier im Textlviertel/Herrenbach auch möglich, wenn ein paar Faktoren unglücklich zusammentreffen. Weil der Herrenbach kraftwerkstechnisch über
Geländeniveau liegt, müsste Enzo bei einem Loch im Damm zum Futternapf schwimmen. Und in meinem Keller wären nicht nur Waschmaschine, Trockner und eine sündteure (umweltfreundliche)
Heizungsanlage perdü. Sondern auch meine Sammlung schöner Weine, was mich weitaus schlimmer treffen würde...
Über ein Jahrzehnt war das Risiko am Herrenbach der Augsburger Stadtverwaltung bekannt. Jetzt wurde, eigentlich viel zu spät, gehandelt — und ein Sturm brach los, der mehr als nur einen Baum
entwurzeln könnte. Das „Niveau“ der Beiträge in den Medien und im Internet ist dabei zum Teil so unterirdisch, dass ich mich schon frage, ob es da um einen höhergelegten Kanal oder um Augsburgs
größte Grotte geht. Den Vogel schießt dabei einer ab, der einen Facebookbeitrag auf der Seite von
Oberbürgermeister Kurt Gribl (der in etwa meiner Meinungsrichtung entspricht) als „gekauft“ diffamiert.
Dann also zum Mitschreiben: Enzo und ich sind nicht „gekauft“ — obwohl ich mir bei Enzo nicht so sicher bin, was man da mit ein paar Leckerli ausrichten könnte. Na, wir werden sehen. Das Thema
geht sicher noch weiter. Und auch für unseren Blog gilt: Fortsetzung folgt.
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A. Brugger (Samstag, 02 Juni 2018)
Wann gab es das letzte Hochwasser im Textilviertel? Nicht einmal bei einem sog. 100-jährigen Regenereignis ist hier von einem Hochwasser auszugehen.
Enzo (Samstag, 02 Juni 2018 11:22)
Darum geht es gar nicht. Es geht um (sogar gesunde) Bäume. Aber auch die können bei Sturm umfallen, wenn sie wie hier in einer alten, aufgeweichten Dammkrone wurzeln. Dann gibt's ein Loch im Damm und...
N.G. (Sonntag, 03 Juni 2018 22:42)
Hallo Enzo, ich sehe im ganzen Stadtgebiet von Augsburg Bäume teilweise direkt an den Kanälen stehen, teilweise ganze Alleen. Meinen Sie, dass all diese Bäume das gleiche Risiko darstellen, wie diejenigen am Herrenbach? Müssten sie dann konsequenterweise nicht alle gefällt werden?
Ich war beim Pfingsthochwasser auch betroffen; meine Erinnerung ist: Über Jahrzehnte gab es am Wertachwehr in Göggingen einen Schleusenwärter. Diesen hatte man sich aber offenbar sparen wollen (das Grundstück mit dem Wärterhäuschen war im Jahr des Pfigsthochwasser zum Verkauf ausgeschrieben). Der Schleusenwärter hätte - meine ich - damals viel schneller reagieren können. Erste verklauste Bäume waren nämlich schon ein, zwei Tage vor dem Dammbruch zu sehen; ich bin damals täglich mehrmals über die Gögginger Wertachbrücke gelaufen.
N.G. (Sonntag, 03 Juni 2018 22:56)
Oh, ich habe nur Enzo angesprochen und Dieter Mitulla vergessen... Einer von beiden wir mir evtl. antworten.
Dieter Mitulla (Sonntag, 03 Juni 2018 23:26)
Ja, dass man Enzo zuerst anspricht und mich dann vergisst, das erlebe ich öfter. Damit werde ich leben müssen. Und Enzo ist es auch wert!
Ja das Pfingsthochwasser... An die Details erinnere ich mich nicht mehr. Einen „Schuldigen“ hat man damals, glaube ich, nicht gefunden.
Bäume auf anderen Deichen? Ja, gibt es wahrscheinlich. Und wahrscheinlich müsste man sie, wenn mal einer auf die Idee kommt, sie alle zu untersuchen, auch fällen. Aber will das wirklich jemand? Und: Wenn man es nicht untersucht und trotzdem was passiert, wird dann wieder ein Schuldiger gesucht? Und gefunden?
Ich weiß, das ist jetzt nicht populär: Aber vielleicht würden wir alle besser leben, wenn wir akzeptieren würden, dass es Unglücke gibt und die manchmal einfach passieren. Shit happens sagen die Amis. Das hilft zwar den Betroffenen nicht, macht das Leben aber vielleicht insgesamt leichter.
Schönen Abend noch!
N.G. (Montag, 04 Juni 2018 07:55)
Lieber Herr Mitulla, nun gut, Sie sagen es eigentlich: Risiken lassen sich kaum vermeiden. Der Streitpunkt ist aber doch: Gibt es eine akute Gefahr für Leib und Leben am Herrenbach (wie O.B. Kurt Gribl und seine Referenten es darstellen)? Ich würde dann aber schon gerne wissen, was dort anders ist, als an den anderen Kanälen und warum man bei einer "aktuten" Gefahr Mittwoch um Punkt 16 Uhr die Arbeiten einstellt, den Brückentag (Freitag) "frei" macht und heute am Montag erst wieder beginnt, obwohl schwere Gewitter angesagt waren. Mich würde dann auch interessieren, warum ein Schott, dass angeblich veraltet ist, nicht sofort ausgetauscht wird. Sie können zahlreiche Punkte aufführen, zu denen es einfach keine Infos gibt. Es gab nur eine Karte mit dem dem komplett überfluteten Herrenbach- und Textilviertel. Wer Ängste schürt und Bürger gegeneinander ausspielt (so verstehe ich den facebook-Post von Herrn OB Gribl) sollte aber Information transparent machen. Sind Sie und Enzo nicht auch der Meinung? Dass manche Posts geschmacklos sind, sehe ich im Übrigen auch so. Es würde der Sache mehr dienen, auf der argumentativen Ebene zu bleiben.
Ich wünsche einen schönen Tag!