Es wächst zusammen, was zusammen gehört
Schon interessant, in diesen Tagen seine Lieblingszeitung aufzuschlagen. Vor allem für Leute wie mich, die der endlosen Corona-Schlagzeilen (und der abundanten Textflut über
„Wer-auch-noch-betroffen-sein-könnte-und-wie“ allmählich überdrüssig sind. Das meiste davon kann man sich ja denken. Aber wer hätte gedacht, dass ein77-jährigerBernd Kränzle Dritter
(CSU-)Bürgermeister werden soll? Dass eineTraditions-Sozialdemokratin wie Margarete Heinrich mit Krach und Paukenschlag aus Partei und Fraktion austritt? Na ich jedenfalls nicht.
Obwohl die Entwicklung, die da im Grau der allgemeinen Coronaverwirrung herangekreucht ist, eigentlich ganz logisch und konsequent ist. Schauen wir mal auf die CSU, die mit den Grünen—und nur mit
ihnen— in Rekordzeit eine gemeinsame Basis in einen interfraktionellen Vertrag gegossen hat. Warum auch nicht: Die beiden konservativsten Kräfte im Gremium haben sich da gefunden. Die CSU ist es
aus Tradition, und sie hat mit Eva Weber eine ökologisch-liberale Frontfrau gefunden, die von schwarzen Betonköpfen in seligen Franz-Josef-Strauß-Zeiten vermutlich noch unter den Radikalenerlass
gestellt worden wäre.
Die Grünen von heute dagegen, das ist ein zutiefst konservativer Wahlverein saturierter Mittelschichtler, der jedweden Fortschritt erst mal ablehnt. Sie sind von der einstigen ausgeflippten
Fortschrittspartei zum bürgerlichen Realo-Sammelbecken konvertiert, in dem sich gottlob nur selten die noch verbliebenen Alternativ-Gscheidgschaftl mit Ökowahn, Genderirrsinn und militanter
Anti-Auto-Politik aus der intellektuellen Insolvenz zurückmelden. Es wäre interessant, wie das Augsburger Kommunalwahlergebnis nach Corona ausgesehen hätte. Mit Forderungen
wie der dritten Toilette für weitere Geschlechter wäre man sicher nicht weit gekommen, wenn sich gleichzeitig die Menschen um Grundbedürfnisse und Grundrechte sorgen. Nicht umsonst haben die CSU
und Eva Weber mit Realismus und visionstauglichem Pragmatismus gepunktet.
Auch wenn nicht alles glatt geht: Dass jetzt nicht der verdiente Baureferent Gerd Merkle als Dritter Bürgermeister zum Zuge kommt, ist eine solche Planungspanne. Er wollte nur für drei Jahre das
Amt übernehmen, was formell nicht zulässig ist. Andererseits hätte ihn wohl niemand davon abhalten können, nach drei Jahren als Bürgermeister zurück- und in den Ruhestand zu treten. Nun kommt
statt dessen Kränzle. Ehrenamtlich und ohne Referatsbereich ist der gewiefte Taktiker somit in der Fraktion aus dem Weg. Dort stand er in der Lauf-Bahn von Leo Dietz, der, mit hinreichendem Ego
ausgestattet, eine Kampfkandidatur um den Fraktionsvorsitz gewagt hätte. Dazu kommt es nun nicht. Dietz darf zeigen, ob er statt Kneipen auch eine Fraktion managen kann. Kränzle ist fit wie ein
Turnschuh. Und er kann Bürgermeister, das steht außer Zweifel. Eva Weber managt die Posten-Rochade und streicht dabei noch ein paar Ehrlichkeitspunkte ein. Chapeau!
Um wieviel desolater steht im Vergleich dazu die SPD in Augsburg da. Die Partei, die jahrzehntelang die Oberbürgermeister dieser Stadt stellte, ist bei der Kommunalwahl grandios abgewatscht
worden, auch wenn sie am Lech dem Bayern-Trend zu einstelligen Prozentergebnissen noch einmal trotzen konnte. Doch während man sich noch die Wunden leckt, kommt schon der nächste Streich:
Margarete Heinrich, einst aufstrebendes Talent, um das es in letzter Zeit verdächtig ruhig geworden war, schmeißt den Bettel hin und tritt samt Familie aus der Partei aus. Sie verschließt sich,
wie weiland ihr Vater Horst Heinrich, dem „Wandel und Erneuerung“ der Sozialdemokraten am Lech. Nur dass es diesmal um einen Linksruck statt, wie unter Breuer, um eine Verbürgerlichung der
Sozialdemokratie geht.
Im künftigen Stadtrat steht somit einer klaren Grenzziehung zwischen „Regierung" und „Opposition" nichts im Wege. auf der einen Seite die konservative Phalanx aus CSU und Grünen, auf der anderen
Seite das soziale Bündnis aus SPD und einer Linken, die in Augsburg auch eher gemäßigt daherkommt. Dazwischen irrlichtert noch eine immer größer werdende Zahl von Ein-Mann/Frau-Gruppen, die die
Stadtratssitzungen zwar länger, deren Ergebnisse aber nicht notwendigerweise besser machen werden. Ach ja, und die AfD ist auch noch da, die vielleicht sogar Fraktionsstatus bekommen könnte. Doch
auch das wird den Initiativen der blauen Vernunftallergiker keine Strahlkraft verleihen können.
Für die Augsburger Stadtpolitik sind diese Entwicklungen zusamengenommen eine echte Chance. Eine Chance hin zu mehr Diskussion um Inhalte, eine Chance für eine Sachpolitik, die nach Corona erst
mal einen Berg von Problemen zu lösen hat -- ererbte wie Theatersanierung und Schaffung von Wohnraum einerseits, und andererseits neue Herausforderungen wie die wirtschaftlichen und sozialen
Folgen der Coronakrise. Glück auf, Augsburg!
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