Click & Collect, oder doch nicht?
Tja, was tut man also, wenn Gevatter Winter dann doch noch beschließt, mit Schnee und Eis um sich zu werfen und den Thermostat ganz weit in den Minusbereich dreht? Wenn sich die Tiefgaragenzufahrt in eine Art Eisstockbahn verwandelt und auf dem Gehweg vor dem Küchenfenster die Passanten lustig durcheinanderpurzeln? Richtig! Der brave Bürger kommt auch in Lockdownzeiten seiner Räum -und Streupflicht nach. Was aber auf gewisse Schwierigkeiten stößt. Zum Beispiel die Tatsache, dass das enzopfotenkompatible Streumittel bereits nach der ersten Großanwendung zur Neige geht. Streusalz muss also her!
Das ist in Coronazeiten aber leichter gebloggt als getan. Der Baumarkt des Vertrauens ist coronabedingt zu. Und die im Hochsommer noch reichlich vorhandenen Vorräte des nahen Supermarkts sind von den Baumarkt-Lockdown-Ausgesperrten bis zum letzten Salzkörnchen dahingehamstert worden.
Gut, dass unser aller Retter Söder das „Click & Collect" erlaubt hat -- also das Bestellen von Waren im Internet mit anschließender Selbstabholung. Ist doch schön, wenn der ambitionierte Heimwerker zwar von Familienbesuchen mit mehr als einer Person ausgeschlossen wird, aber nicht vom Bezug von 100-PS-Bohrmaschine und halbzölligen Überwurfmanschetten. Ich klicke also. Zuerst auf die Seite meines Baumarkts, dann durchs 10.000-Artikel-Sortiment, bemühe dann die Suchfunktion, um festzustellen, dass Streusalz im Baumarktdeutsch „Auftausalz" heißt. Klingt ja auch viel toller als der olle Begriff, den jeder normale Mensch benutzt ...
Ich entscheide mich schließlich für den formschönen 25-Kilo-Plastiksack zum Preis von 6,90 Euro und will zur Zahlung schreiten. Doch vor diesen Akt haben die Götter des Internet die Registrierung beim Onlineportal gesetzt. Ich beantworte einen Fragenkatalog, der neben den üblichen Personalien und Adresse auch Telefonnummer, Geburtsdatum (muss man eigentlich volljährig sein, um Streusalz kaufen zu dürfen?), Schuhgröße, Haarfarbe und das Lieblingsessen an Sonntagen umfasst. Und dann geht's ans Bezahlen.
Ich fülle aus, klicke hier, überprüfe dort und betätige schließlich den finalen „Kaufen"-Button. Die darauf folgende Seite zeigt mir an, dass nun 30 Euro von meiner Kreditkarte eingezogen würden: Der Salzpreis samt 23,10 Euro Liefergebühr. Dabei hatte ich doch (ich weiß es genau) „Selbstabholung" im Bestelldialog angeklickt.
Also: Zurück zum Warenkorb, stornieren, wieder auswählen und ausfüllen -- das volle Programm. Um eine lange Geschichte kurz zu machen: Es bleibt bei den Lieferkosten, sie sind nicht wegzuklicken. Auch in mehreren Versuchen nicht, die meine Herzfrequenz in die Fettverbrennungszone treiben, die ich im Normalfall nur selten erreiche, wie man mir nach mehreren Lockdownmonaten nun wohl auch ansieht. Fettverbrennung ist nicht schlecht: Ich sollte öfter Streusalz bestellen. Scheint fit zu halten ...
Dass ich neben der Fettverbrennungs- auch die Verwünschungszone erreiche, ruft die Gattin auf den Plan. Sie übernimmt und scheitert, scheitert erneut, zum dritten, zum vierten Mal. Der Fitnesseffekt beginnt auch bei ihr zu wirken -- als es plötzlich virtuell knackt und das Streusalz nun ohne Liefergebühr erworben werden kann. Per E-Mail kommt sogar kurz darauf der Abholtermin: 14.01 Uhr im Baumarkt (kein Witz, aber genau mein Humor)!
Zur angegebenen Zeit finde ich mich am Baumarkt ein. Bei „Click & Collect" steckt, wie sich schnell zeigt, nicht nur das Click noch in den Kinderschuhen. Auch am Collect kann getrost noch gearbeitet werden: Der Haupteingang ist verrammelt, Nur Handwerker mit „Gewerbenachweis" haben Zutritt. Andere wegweisende Schilder fehlen.
Der Such-Fußmarsch ums Gebäude verschafft mir wenigstens die Sicherheit, das Salzobjekt der Begierde zu bekommen. Denn niemand hat ein Körnchen des begehrten Stoffes verschwendet, um Parkplatz und Wege zu streuen: Es ist a...-glatt! Und schließlich habe ich sie vor mir, die zimmertürgroße Pforte zur Collect-Hölle mit dem angeklebten DIN A4-Zettel „Click & Collect" in Times New Roman aus dem PC. Es fehlt jedoch der Dante-konforme Hinweis „Lasciate ogni speranza vuoi ch'entrate!" (Lasst alle Hoffnung fahren, ihr, die ihr eintretet!). Denn: Die Tür ist zu. Ich warte.
Und das erst mal vergebens. Als ich nach angemessener Geduldsviertelstunde dann doch am Türknauf rüttle, ruft dies sofort den Zerberus vom Dienst auf den Plan: „Hey! Draußen bleiben!" feldwebelt es von drinnen, und kurz darauf materialisiert der Zerberus in Form eines maximaltätowierten Hänflings, der meine Bestellbestätigung an sich reißt und unter Zuschlagen der Tür wieder verschwindet.
Zurück kommt er mit einem Einkaufswagen, auf dem das salzige Objekt meines Begehrens liegt. Ich greife zum Portemonnaie. „Nur mit Karte", befiehlt der Hänfling. Und ich verkneife mir die die Antwort „Die habe ich ja da drin, du Vollhonk!", weil mich das Bedauern übermannt, dass in den Integrationssprachkursen offenbar die exotischen Formeln „Bitte", „Danke" und „Guten Tag" nicht gelehrt werden.
Dann schleppe ich meine Beute zum Auto, was den Zerberus noch zu einem Hinweis veranlasst: „Nächstes Mal kann du gleich hier parken", sagt er. Ich hoffe, dass das nicht nötig sein wird. Und im Sommer gibt's ja dann auch wieder Streusalz im Supermarkt.
Fortsetzung folgt.
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