Das goldene Kalb
Wer erinnert sich noch an TEMPO? Nein, nicht die Papiertaschentücher. Die gibt es heute noch. Sondern die Zeitschrift. Tempo, liebe Kinder, das war ein deutsches Spät-Popper- bzw. Yuppie-, Lifestyle- sowie Zeitgeist-Monats-Magazin, das von 1986 bis 1996 erschien. Darin gab es auch eine legendäre Kolumne namens „100 Zeilen Hass", in der verschiedene Autoren mit geballter verbaler Schlagkraft auf Dinge oder Entwicklungen einschlugen, die ihnen gegen den Strich gingen. Das hatte was. Vor allem etwas, das es in der bis dato gar nicht so zeitgeistigen Presselandschaft nicht gab. Dort hatten Kommentare staatstragend zu sein, gut formuliert, irgendwie sinnstiftend. Ich habe diese Kolumne immer gerne und mit hohem Amüsement gelesen, auch wenn ich es mit Hass nun nicht so recht habe. Obwohl...
Dann also mal Klartext!
Corona, beziehungsweise die Begleitumstände der Pandemie, machen vieles deutlich. Zum Beispiel, welch ein Goldenes Kalb mittlerweile der Datenschutz ist, um das in unheiliger Allianz Politiker ebenso DSGVO-trunken herumderwischen wie sogenannte Aktivisten-G'scheidg'schaftl (dazu muss ich mal einen eigenen Beitrag schreiben) und Cheyenne Maulbichler aus dem Mietshaus nebenan, die bei IKEA als unterste Schublade arbeitet.
Die gibt zwar bei Facebook bereitwilligst preis, was sie bei KIK für ihre neuen Vollplastik-Dessous in schweinchenrosa bezahlt hat und zeigt dieselben keck bei TikTok im Video. Aber ihre DAAAAAATEN! Nein, die darf niemand haben! Und deswegen muss jetzt jeder Webseitenbetreiber explizit darauf hinweisen, dass er seine Inhalte nicht für Gotteslohn den Cheyennes dieser Welt hinterherwirft, sondern wenigstens ein paar Kröten dadurch verdient, dass er eine für Cheyenne passende Werbung – zum Beispiel für schweinchenfarbene Dessous – einblendet.
Dafür nutzt eine Website sogenannte Cookies. Und das, liebe Kinder, sind nicht die Kekse, mit denen sich Cheyenne und andere Dummtorten im Lockdown ein paar zusätzliche Speckröllchen anfuttern, sondern klitzekleine Programme, die sich merken, was die Nutzer interessiert, weil sie es anklicken. Und richtig: Auch deren Verwendung muss zugestimmt werden – Datenschutz! Natürlich dürfen auch die Klick-Daten nicht so ohne weiteres gespeichert werden, was dann dazu führt, dass bei jedem erneuten Besuch der Seite die Klick-Orgie wieder von vorne beginnt.
Das wäre nun alles nicht so schlimm, würde die „Ich-klick'–mich–tot"-Regel nur für den Internetmüll gelten, den sich Cheyenne und ihre kognitiv teilmöblierten Artgenossen reinziehen. Doch Vorschriften gelten halt für alle. Und so sorgt der Datenschutz nicht nur dafür, das zum Beispiel die Produktion eines Schul-Jahresberichts zu einer Art juristischer Diplomarbeit mutiert ist.
Auch durchaus sinnvolle Anwendungen wie etwa die Corona-App vegetieren in Deutschland im Datenschutz-Koma. Während in anderen Ländern einschlägige Apps durchaus wertvolle Beiträge zur Verfolgung von Kontakten leisten, ist die deutsche Version datenschutzkastriert und der Erkenntnisgewinn aus ihrer Verwendung marginal.
Immerhin: Wir haben dem zugestimmt, wie wir es in diesen Coronatagen bei vermehrten Reisen durchs Internet andauernd tun. Klick, klick, klick... Nach zwei Stunden online jubiliert die längst vergessen geglaubte Sehnenscheidenentzündung im Mausarm wieder, wertvolle Lebenszeit verfließt in Klickmomenten, und die nächste Website meldet unverdrossen: „Diese Website verwendet Cookies. Bitte stimmen Sie der Verwendung zu."
Mach' ich doch!
Anmerkung: Cheyenne Maulbichler ist ein erfundener Name. Hoffe ich wenigstens, denn ob es eine reale Person dieses Namens gibt, konnte ich aus Datenschutzgründen nicht herausfinden. Und jetzt setze ich mich auf die Couch und esse meine Cookies.
Fortsetzung folgt.
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