Der Blinde hilft dem Lahmen über die Datenautobahn
Haben wir das eigentlich verdient? Als würde es nicht reichen, dass man unter Pandemiebedingungen leben muss – Einkaufen mit Maulkorb und/oder Coronaschnelltest, Ausgangssperre à la Prager Frühling, Arbeiten (wenn man noch muss) zuhause? Nein, es reicht offenbar nicht. Um uns Sterbliche noch mehr zu strafen, haben die Götter uns die Videokonferenz erfinden lassen. Jetzt wird also täglich videokonferiert, weil irgendwelche G‘scheidg‘schaftl zeigen müssen, dass man kompliziert machen kann, was man mit einer Telefonkonferenz auch relativ einfach erledigen könnte.
Das fängt schon bei der Auswahl der geeigneten Software an. Nehmen wir heute MS Teams? Oder haben die meisten Zoom installiert? Dürfte es vielleicht doch ClickMeeting sein? Oder Skype? Oder... Lassen wir das. Das absurde Theater, das ich als Homeofficegast meiner heimworkenden Gattin regelmäßig verfolgen darf, fängt hier ja erst an.
Zweiter Akt des Dramas: der Einladungslink. Er wird verschickt, ja klar. Aber wohin? An die Büroadresse, wo leider auch die Bürosoftware in einem Netzwerk läuft, das eine fürsorgende IT in einen digitalen Hochsicherheitstrakt verwandelt hat? Oder doch lieber an die private Adresse – in der Hoffnung, dass der heimische Spamfilter Links passieren lässt? Oder vielleicht doch lieber aufs Handy, wo man wenigstens selbst Herr über Apps und Berechtigungen ist? Antwort: Am besten an alle drei. Und so werden Verteiler zu wahren Demonstrationszügen von Mailadressen.
Folgt der dritte Akt, in dem die Blinden versuchen, die Lahmen über die Datenautobahn zu tragen. Minutenlang schallt es aus dem Homeoffice: „Wo muss ich da klicken?, „Da ist aber kein Link!, oder „Ach, anmelden muss ich mich auch?“
Im vierten Akt tagt dann eine Video-Livekonferenz, an der die Ehefrau teilnehmen will/muss/soll. Das Thema könnte interessant sein. Doch statt um Themen geht es um existenzielle Fragen wie „Könnt ihr mich sehen?“, „Könnt ihr mich hören?“ und apodiktische Feststellungen à la „Huhu, ich sehe dich!“, „Ich sehe dich nicht!“, „Das geht nicht!“, „Jetzt sehe ich dich!“, gefolgt von periodischem „So ein Scheiß!“.
Die Corona-Homeoffice-Realsatire erinnert stark an die Otto-Nummer mit Sportreporter Harry Hirsch (im Video ab 1:58).
Man kommt nicht umhin, dem Blödelbarden Otto Waalkes visionäre Weitsicht zu attestieren: Immerhin hat er in seiner Fußballspiel-Nummer schon im Entstehungsjahr 1974 die Freuden moderner Kommunikation vorhergesehen. O-Ton:
– Harry Hirsch, können Sie mich hören?
– Ja, ich höre Sie gut.
– Können Sie mich verstehen?
– Ja, ich verstehe Sie gut.
– Nein, Sie können mich nicht verstehen.
– Doch, ich verstehe Sie gut.
– Neeeiiiiiiiin, keiner kann mich verstehen!
Ich kann übrigens auch etwas verstehen: Meine tägliche Erleichterung, dem Medienzirkus noch rechtzeitig in den Ruhestand entkommen zu sein. Die guten Gründe dafür werden jeden Tag mehr.
Fortsetzung folgt.