Hans Breuer (1930–2021)
Das Schreiben von Nachrufen zählt zu jenen Aufgaben eines Lokaljournalisten, denen ich mich immer gerne entzogen habe. Zu den wenigen Ausnahmen, die diese Regel bestätigen, gehört auch dieser Blogbeitrag: Erschüttert habe ich gestern Abend vom Tod des früheren Augsburger Oberbürgermeisters Hans Breuer (SPD) erfahren. Als junger Redakteur in der Lokalredaktion der AZ habe ich ihn in turbulenten Zeiten der Augsburger Kommunalpolitik journalistisch begleitet. Gestern ist Hans Breuer im 91. Lebensjahr gestorben.
Es waren noch ganz andere Zeiten, Anfang der 1980-er Jahre, als ich Hans Breuer zum ersten Male als Journalist begegnete. Die Presselandschaft im Rathaus bestand im Wesentlichen aus der AZ (Klaus-Dieter Düster, Ingrid Bergmann-Ehm und mir), der Augsburgbeilage der Süddeutschen Zeitung (Dieter Baur), dem Boulevardblatt „Neue Presse“ (Richard Schmidt), dem dpa-Korrespondenten (Peter Richter) und dem Schwaben-Redakteur des Bayerischen Rundfunks („Ranger“ Ruf). Die Zeiten, in denen mikrofonbewehrte Lokalfunkpraktikanten ihre Unkenntnis zu Markte trugen, hatte damals noch nicht begonnen.
Die politische Landschaft war ähnlich reduziert: Im Stadtrat standen sich SPD und CSU als große Blöcke gegenüber, einige wenige Versprengte aus anderen Parteien und Gruppen spielten nur dann eine Rolle, wenn – selten genug – eine Kampfabstimmung ins Haus stand. Doch die gab es kaum: Hans Breuer hatte schon zu Beginn seiner OB-Amtszeit 1972 durch die sogenannten „interfraktionellen Verträge“ – eine Art Koalitionsvereinbarung – Schwarz und Rot in der Verantwortung für die Stadt zusammengeführt: Referate (und die damit verbundenen Posten) wurden paritätisch vergeben, Grüne gab es damals nicht, und die Gelben krebsten im Drei-Prozent-Bereich herum. Breuer, der als OB noch die klassische Führungsfigur abgab, beschwor regelmäßig den Geist der Bayerischen Gemeindeordnung, die den Stadtrat nicht als Parlament mit Regierungs- und Oppositionsrollen beschrieb, sondern als „Kollegialorgan“, in dem alle Gruppierungen möglich im Konsens zum Wohl der Stadtgesellschaft zusammenarbeiten sollten.
Es wurde Großes geleistet in diesen Jahren. Vor allem, weil noch viel zu leisten war: Augsburg war eine verschlafene Stadt, bereits geschüttelt von den Vorboten der Krise der traditionellen Industrien. In den Textilfirmen ratterten noch die Spinn- und Webmaschinen. Der Individualverkehr schwappte mangels Tangenten in Wellen über einen Königsplatz, auf dem ein Schutzmann (der sich regelmäßig durch eine Sauerstoffdusche im Abgasnebel fit hielt) den Verkehr per Handzeichen regelte. Der Nahverkehr wurde zu einem guten Teil noch mithilfe von Nachkriegsstraßenbahnen abgewickelt. Die Krankenhäuser (Haupt- und Westhaus) waren von traurigem Standard, der Müll wurde unsortiert auf eine Deponie bei Gersthofen geschmissen. Augsburg, eigentlich eine Stadt mit großer Geschichte, war arm, leistete sich aber als „rote Insel“ in einem ansonsten schwarzen Schwaben die reichsstädtische Arroganz der politischen Isolation.
Mit all diesen Unzulänglichkeiten räumte Breuer systematisch auf. Das Motto „Stadt und Land – Hand in Hand“ lebte er zusammen mit seinen beiden CSU-Landratskollegen Dr. Franz Xaver Frey (1928 – 1987; Augsburg-Land) und Josef Bestler (1925 – 2018; Aichach-Friedberg). Gemeinsam ging das Triumvirat die drängendsten Probleme der Region an: Da war zunächst der Bau des Zentralklinikums durch den noch von seinem Vorgänger Wolfgang Pepper mitbegründeten Krankenhauszweckverband. 1982 nahm das Klinikum den Betrieb auf, das 1859 gegründete Hauptkrankenhaus mit seinen großen Krankensälen konnte endlich aufgegeben werden, ebenso das Westkrankenhaus (mehr schlecht als recht in ehemaligen Kasernengebäuden in Kriegshaber eingepfercht) und das Ostkrankenhaus in der früheren Schillerschule in Lechhausen. Schon damals solle das Zentralklinikum Uniklinik werden – die Realisierung dauerte bis zum Jahr 2019.
Ähnlich zielgerichtet verlief die Neuordnung der Müllentsorgung in der Region. Als damals europaweit modellhaftes Projekt entstand bis 1996 auf 23 Hektar grüner Wiese im Lechhauser Industriegebiet die von „Müllpapst“ Prof. Oktay Tabasaran konzipierte Müllverwertungsanlage mit den Komponenten Verbrennung, Sortierung und Kompostierung. 1985 wurde unter Breuers Regie außerdem der Augsburger Verkehrs- und Tarifverbund (AVV) gegründet, der den Nahverkehr in der Region auf eine solide Basis stellte. Ein wichtiger Meilenstein der Augsburger Stadtgeschichte, der Breuers Handschrift trägt, ist außerdem der 1978 aufgelegte Gesamtverkehrsplan, der die Grundlage für das (immer noch nicht komplettierte) Tangentensystem und den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs bildete. Ein Teil davon war der erste Umbau des Königsplatzes in den Jahren 1976/77, bei dem der alte „Pilz“ vor dem Zentralkaufhaus weichen musste und das Haltestellendreieck in seiner heutigen Form entstand. Die Entscheidung fiel damals mit der denkbar knappsten Mehrheit von einer Stimme – der von Oberbürgermeister Hans Breuer.
So erfolgreich Breuer in der kommunalpolitischen Sacharbeit war, so sehr litt er an seiner Partei, der SPD. Das Verhältnis zu den größtenteils traditionell aufgestellten Genossen wurde schon in den Jahren der Affäre Egger brüchig: Während die Partei noch Solidaritätsadressen für den in eine Bereicherungsaffäre verwickelten dritten SPD-Bürgermeister abgab, ließ ihn Breuer öffentlich fallen. Auch bei anderen Affären stand Breuer für schnelle und harte Entscheidungen – etwa als er 1986 den damaligen Ordnungsreferenten Dr. Wolfgang Spreitler nach zwei Alkoholfahrten entließ. Spreitler starb 2001 mit 58 Jahren nach einem Treppensturz.
„Seiner“ SPD wollte Breuer mit der 1987 vorgelegten Mahnschrift „Wandel und Erneuerung“ ein modernes, zeitgemäßes Erscheinungsbild verschaffen – „heraus aus den Hinterzimmern“. Doch hier blieb ihm der Erfolg versagt, die Augsburger Sozialdemokratie stand damals kurz vor dem Auseinanderbrechen.
Untrennbar verbunden ist der Name Hans Breuers aber auch mit einem Ereignis, das die Augsburger Mentalität nachhaltig veränderte: die 2000-Jahr-Feier der Stadt im Jahre 1985. Es war mit Breuers Verdienst, dass das historische Stadtjubiläum nicht nur mit „Pomp and Circumstance“ begangen wurde, sondern ein Fest wurde, bei dem die Augsburger ihre Straßen und Plätze als Feierkulisse und Ort ausgelassener Begegnungen eroberten – und behielten. Damals wurde Augsburg, von Thomas Bernhard Jahre zuvor noch als „Lechkloake“ gescholten, zur lebendigen Großstadt. Breuer selbst war mittendrin – an seinem Stammplatz am „Bader-Stammtisch“ mit Ehefrau Siglinde und Dackeldame Maja auf dem Rathausplatz ebenso wie bei den zahlreichen Empfängen mit der deutschen Politik-Prominenz im damals frisch wiederhergestellten Goldenen Saal des Rathauses.
Bei solchen „hohen Besuchen“ dachte Breuer übrigens immer auch an die „kleinen“ Rathausjournalisten: Zu den eher privaten Treffen mit Spitzenpolitikern in seinem Besprechungsraum im 2. Stock des Verwaltungsgebäudes lud er stets auch die Lokalredakteure zu Kaffee (und nicht zuwenig Cognac) ein. So kam auch ich als junger Redakteur in den Genuss von Unterhaltungen mit Größen wie Willy Brandt oder Helmut Schmidt.
Bürgernähe zeigte Breuer freilich auch im Kleinen und gegenüber „normalen“ Leuten. Legendär ist die Geschichte von einer verzweifelten Frau, die den OB an einem Freitagnachmittag in der Stadt erkannte und ansprach: Sie wollte am Folgetag in Urlaub verreisen und hatte zu ihrem Schrecken bemerkt, dass der dafür unbedingt benötigte Reisepass abgelaufen war. Breuer schleppte die Dame kurzerhand in sein Büro, kramte sein Dienstsiegel heraus und verlängerte das Dokument eigenhändig: „Ich weiß schon, dass das nicht korrekt ist", sagte er dazu. Aber „Jetzt kann sie in Urlaub fahren und ist glücklich, neget ne." Dieses „neget ne“ (was in etwa „nicht wahr“ bedeutet – in welcher Sprache, das habe ich nie herausgefunden) stand übrigens häufig am Ende typischer Breuer-Sätze.
Sein „Neget ne“ werden wir nie wieder hören.
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Livia (Dienstag, 15 Juni 2021 12:37)
Sehr schöne persönliche Erinnerungen�
Dieter (Dienstag, 15 Juni 2021 13:12)
Grazie, cara!
Lissy Rosenkranz (Mittwoch, 16 Juni 2021 10:59)
Genau so war das, lieber Dieter. Super Beitrag!
Kleine Anmerkung: Richard Schmidt, bei dem ich (in grauer Vorzeit) auch mal die Ehre hatte zu hospitieren, legte immer ganz besonderen Wert auf das „S.“ in seinem Namen. Also Richard S. Schmidt. Soviel Zeit muss dann schon sein!�
Ingrid Bergmann -Ehm (Dienstag, 20 Februar 2024 08:58)
So eine Freude, dies zu lesen nach so viel Jahren
Ich werde im Mai 84. Wo lebst du?