Journalismus 3.0

Täglich blubbert die Buchstabensuppe. Und manchmal kommt sie dem Konsumenten wieder hoch... (Foto: de.freepik.com)
Täglich blubbert die Buchstabensuppe. Und manchmal kommt sie dem Konsumenten wieder hoch... (Foto: de.freepik.com)

Ungenießbare Buchstabensuppe

Es ist, wie so vieles, wohl eine Generationenfrage. Schon aus der Römerzeit ist die Klage von Leuten meiner Gattung (also alt, aber nicht altersmilde) über die anderen (also jung, aber halt tonangebend) überliefert. Oder etwas plakativer gesagt: Während der berühmte Spruch „O Tempora, o Mores!“ mit zunehmendem Alter immer häufiger zitiert wird, versteht die „Generation TikTok“ dies eher als lustiges Social-Media-Meme über einen schlechten Sushiladen: „Oh Tempura, oh mores." Kann man drüber lachen. muss man aber nicht. Was dabei eher zum Weinen ist: Das Original, das übrigens von Marcus Tullius Cicero (106 bis 43 v. Chr.) stammt, gerät in den Hintergrund, fortgeschwemmt ins Vergessen auf dem steten Fluss der Buchstabensuppe, die bei Facebook & Co. blubbert.

Aber nicht nur da. Die „sozialen Medien“ heißen ja so, weil sie eben auch Medien sind. Medien, die auf andere Medien abfärben. Während in den goldenen Zeiten des Journalismus im Vordergrund stand, harte Fakten und stimmige Informationen möglichst rasch und präzise formuliert zu transportieren, ist mittlerweile auch in den vorgeblich seriösen Medien der Siegeszug des Infotainment unaufhaltbar. Nicht mehr die Frage, ob eine Information stimmt, steht im Vordergrund. Sondern die Frage, ob sie „ankommt“. Da beschäftigen dann ersthafte Redaktionen Marktforscher, die mit Copytest und Readerscan die Lesequoten von Inhalten analysieren wie die Einschaltquoten von TV-Soaps. Was gelesen oder geklickt wird, setzt sich durch, und wer als „Journalist“ Quote macht, muss sich auch um sein eigenes Vorankommen weniger Sorgen machen als ein seriöser, aber halt etwas langweiliger Faktenrechercheur.

Welche Blüten dieses Denken treibt, konnte man vor Kurzem beim TV-Sender RTL bewundern. Um den Eindruck zu erwecken, mittendrin statt nur dabei zu sein, beschmierte sich Reporterin Susanna Ohlen mit Schlamm, um bei einer Schalte zur Flutkatastrophe im Magazin „Guten Morgen Deutschland“ authentischer auszusehen. Vom Sender wurde sie deswegen suspendiert. Sie entschuldigte sich in einem Statement bei Instagram.

Nun könnte man dieses Stück aus dem medialen Tollhaus mit dem Verweis „Na ist halt RTL, was will man erwarten?“ abtun. Doch der Trend, dass sich Journalisten für die Quote zum Affen machen, ist längst nicht nur im Unterschichten-TV etabliert. Lokal- und Regionalzeitungen, die sich weitgehend über Abos finanzieren und die eigentlich nicht auf Kiosk-Attraktivität zielen müssten, greifen in den Zeiten sinkender Reichweite tief in die Quoten-Mottenkiste. Jedes Nachrichtenthema muss auf Biegen und Brechen „aufgemenscht“ werden. Gibt es ein Thema, auf das Reaktionen erfolgen, wird es „nachgedreht“, „aufgepeppt“ und in Fortsetzungen durchs mediale Dorf getrieben, bevor die schon angegammelten Reste, final verwurstet, noch einmal auf den Quotengrill kommen – Hauptsache, es liest sich gut. Mahlzeit, Leser!

Man mag sich kaum mehr vorstellen, dass es einmal Zeiten gab, in denen eine Neue Zürcher Zeitung bei Vorliegen inhaltlich unterschiedlicher Meldungen zu einem Geschehen einfach beide Versionen nebeneinander abdruckte – versehen mit dem redaktionellen Hinweis, man sei ja nicht vor Ort gewesen und könne deswegen nicht entscheiden, welche Version stimme. Nun gut, vielleicht muss man ja nicht so weit gehen. Aber Blätter und Websites, bei denen aus jedem Gewitter ein Unwetter wird, aus jeder versprengten Schneeflocke im Winter ein „Schneechaos“, aus fünf Tagen Sommer am Stück eine „Hitzewelle“ und das Wort „Katastrophe“ zwanghaft den Normalfall beschreibt, werden die derzeit rapide um sich greifenden Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Medien nicht vermindern können.

Schlimm dabei ist, dass diese Zweifel einen Teufelskreis in Gang setzen: Wo mit steigender Skepsis der Leserschaft Auflage und Reichweite sinken, tun das die Gewinne mit ihnen. Dann muss gespart werden – und das geschieht meist beim Personal und damit an der Qualität. Gespart wird derzeit überall. Man kann sich um die Zukunft des seriösen Journalismus daher durchaus Sorgen machen. Den Wenigen, die die Tugenden eines sachlichen, unaufgeregten Journalismus noch hochhalten, hilft es dabei nicht, wenn irgendwelche intellektuellen Energiesparlampen auf Demos „Lügenpresse“ in die Kameras brüllen. Wichtiger wäre die Erkenntnis, dass anständige Informationsnahrung ebenso ihren (höheren) Preis hat wie eine gesunde Kost auf dem Esstisch. Wenn uns das nicht bewusst wird, wird uns die mediale Buchstabensuppe irgendwann im Hals steckenbleiben.

Fortsetzung folgt.

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