Dauerplärrer im Radlerparadies
Wenn früher die Schulen für die Sommerferien schlossen, wenn sich die deutsche Arbeitnehmerschaft geschlossen an die Teutonengrills an der Adria oder dem „17. Bundesland“ Mallorca begab – im August also – dann wurde in den Redaktionsbüros der Republik die „Saure-Gurken-Zeit“ ausgerufen: Volontäre und Hospitanten wurden in Scharen losgeschickt, um aktuelle Umfragen bei Passanten zu machen – zu so weltbewegenden Themen wie „Wie schützen Sie sich vor der Sommerhitze“ oder so. Politische Auseinandersetzungen machten Pause wie der Stadtrat und seine Ausschüsse. Platz auf den Zeitungsseiten (sonst ein rares, wertvolles Gut) gab es plötzlich im Überfluss. Und noch nicht einmal die Leserbriefspalten füllten sich zuverlässig von selbst, von den Beiträgen der „üblichen Verdächtigen“ einmal abgesehen.
Im Pandemiesommer 2021 ist dies zumindest in Augsburg komplett anders. Meine Lieblingszeitung füllte in der jüngsten Mittwochsausgabe ein komplette Seite mit Leserzuschriften, die sich fast ausnahmslos kritisch mit der Stadtpolitik beschäftigten.
Nun ist es keine neue Erkenntnis, dass „normale“ Leser immer dann zu PC und Stift greifen, wenn die veröffentlichte Meinung mit der öffentlichen Meinung nicht mehr so recht im Einklang steht. Oder pointierter ausgedrückt: Wenn sich die Redaktion inhaltlich von der Leserschaft entfernt.
Und da gibt es offenbar einige Themen, die derzeit viele zum Widerspruch reizen. Eine kleine Liste:
Augsburgblume. Das erschütternde Schicksal des Sprayers, der die halbe Stadt mit gesprühten Kinderzeichnungen einer Blume „verzierte“ und der deshalb als Wiederholungstäter bei widerrufener Bewährung in Haft sitzt, wird auf einer halben Seite ausgewalzt. Dass es Menschen gibt, die an ihrer frisch gestrichenen Fassade Graffiti eher scheisse finden, ist ein Aspekt, der den Autoren offenbar entging.
Klimacamp. Das Matratzenlager sogenannter Klimaschützer neben dem Rathaus des Elias Holl wird weiterhin (mit klammheimlicher Freude in einem Teil der Stadtregierung) hingenommen. Es besteht jetzt seit über einem Jahr, was der Zeitung vor Kurzem einen befremdlich unkritischen „Jubiläums“-Artikel" wert war, ebenso wie die unverfrorene Forderung der „Aktivisten“, der Steuerzahler möge für die Kosten aufkommen, die wegen der Beendigung der Aktion durch Polizei und Feuerwehr – zurecht! – auf sie zukommen. Was fehlte, war eigentlich nur noch ein Spendenaufruf für die von bösen, alten, weißen Männern verfolgten „Klimaschützer“.
Verkehr. Die Abmarkierung zweier Fahrradspuren in der Hermanstraße hat, wie erwartet, zu kontroversen Diskussionen geführt. Während die Radlerfraktion in Jubelbekundungen ausbrach, kommt nachvollziehbarer Protest von Leuten, die per Auto noch in die Stadt wollen oder müssen, zum Beispiel zur Grabpflege auf den Hermanfriedhof. Das „Angebot“, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen, dürfte für einen mit Graberde, Pflanzen und Gerätschaften bepackten Senior nicht unbedingt attraktiv sein. Er braucht das Auto und für dieses einen Parkplatz. Apropos: Auf lange Sicht sollen erneut hunderte von Stellplätzen in der Innenstadt ersatzlos wegfallen, die Gebühren für den Rest-Parkraum überdies steigen. Wem also gelungen ist, auf schmalen Schleichwegen in Citynähe zu gelangen, kann auch gleich wieder fahren: Einen Parkplatz findet er nämlich nicht. Das Wehklagen über „Leerstände“ in Innenstadtgeschäften wird derweil immer lauter – finde den Fehler! Das Stammwort von Verkehrsplanung ist halt „Verkehr“ und nicht „verkehrt“…
Innenstadt. Um deren Attraktivität macht man sich offenbar Sorgen – zurecht! Statt das Problem aber „cum grano salis“ – also jenem Salzkörnchen an Hirnmasse, das auch bei Kommunalpolitikern vorhanden sein sollte – anzugehen, verfällt man in Aktionismus, der noch dazu die eigene Klientel ruhigstellen soll: Da wird dann ein Kettenkarrussell auf dem Rathausplatz genehmigt (und vielleicht sogar zur Dauereinrichtung). Und ein Riesenrad war auch schon im Gespräch. Die Verplärrerung der Innenstadt soll also von der wirtschaftlichen Verödung ablenken. Die würde aber wohl eher durch eine optimale Erreichbarkeit bekämpft – für alle Bevölkerungsgruppen. Stattdessen werden weiterhin Aktionismuskonzepte entwickelt, die mehr Fehler enthalten als der Lebenslauf von Annalena Baerbock.
Zieht man ein Fazit aus dem bisher Geschriebenen, so fällt das für die schwarz-grüne Stadtspitze alles andere als hoffnungsvoll aus. Natürlich mag es auch an Corona und dem damit einhergehenden Mangel an direkten Bürgerkontakten liegen. Aber der Eindruck verfestigt sich, dass im Verwaltungsgebäude – mit Blick auf den Goldenen Saal des Rathauses, in dem sich die Inschrift „Publico consilio, publicae salute“ (Auf Beschluss der Stadt, für das Wohl der Stadt) befindet – eine dem gemeinen Wahlvolk stark entfremdete Camerilla weiterwurstelt, als gäbe es kein Morgen – und keine nächste Kommunalwahl.
Würde diese zeitnah stattfinden, es ginge der regierenden Mannschaft vermutlich wie dem Weber-Vorgänger Paul Wengert von der SPD, den die Wähler nach nur einer Amtsperiode verdientermaßen in den politischen Gulag schickten. Das könnte durchaus auch den derzeitigen Akteuren passieren. Die Indizien dafür mehren sich – und das muss rechtzeitig gesagt werden, auch auf die Gefahr hin, dafür verbal Prügel zu beziehen. Aber das Recht auf freie Meinungsäußerung beinhaltet ja nicht automatisch das Recht auf Beifall.
Fortsetzung folgt.
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