Mit dem Holzhammer
Ein bemerkenswerter Kommentar steht heute – prominent auf der letzten Seite – im Lokalteil meiner Lieblingszeitung. Lokalchefin Nicole Prestle macht dort auf einen Vorgang aufmerksam, der wachsam machen sollte. Worum es geht?
In Augsburg sind die Büchereien derzeit entweder geschlossen oder nur zu reduzierten Öffnungszeiten verfügbar. Es gibt dafür auch einen (guten) Grund: Aus allen Bereichen der Verwaltung musste Personal für die Verfolgung von Corona-Infektionswegen abgestellt werden. Betroffen sind da auch die Büchereien, die zum Bildungsbereich der grünen Zweiten Bürgermeisterin Martina Wild gehören. Wobei Wilds Referat 4 relativ ungeschoren von den Maßnahmen bleibt: Gerade mal 0,92 Prozent des Personals muss die Bildungsverwaltung für die Corona-Notmaßnahme abstellen. Zum Vergleich: Das auch nicht gerade unwichtige Wirtschaftsreferat muss vorübergehend auf fast zehn Prozent seiner Mitarbeiter verzichten.
Man kann nun trefflich darüber spekulieren, ob sich der Verzicht auf einen 1-Prozent-Anteil von Angestellten im Bildungsbereich gleich in Form von Schließung ganzer Einrichtungen in den bevölkerungsreichen Stadtteilen Lechhausen und Göggingen auswirken muss. Oder ob vielleicht mit etwas Kreativität, wie man sie von einer Bürgermeisterin erwarten könnte, flexiblere Lösungen möglich wären. Immerhin schaffte es die Verwaltungsspitze, einen ungeliebten Beamtenrückkehrer aus der Besoldungsstufe B2 als Verwalter des städtischen Erholungsplatzes am Ammersee einzusetzen, was den – inzwischen pensionierten – Mann zum wohl bestbezahlten Campingplatzverwalter Europas machte. Tatsache ist: Solche kreativen Modelle gibt es für die Corona-Nachverfolgung offenbar nicht. Bücherei? Zack, geschlossen!
Vielleicht – aber das ist bloße Spekulation – sollte die Umsetzung der Corona-Notmaßnahmen mit dem Holzhammer ja auch den Effekt erzielen, der dann tatsächlich eintrat: Im Stadtrat ging mit SPD, Linken, Freien Wählern, FDP und Pro Augsburg fast die komplette Opposition auf die Barrikaden, und der Protest der „Freunde der Stadtbücherei“ ist quasi schon obligatorisch. Über diese Kritik berichtete die AZ-Lokalredaktion, was in den Bürgermeisterinnenbüros am Rathausplatz vermutlich nicht gerade eitel Freude hervorrief. So kam es, dass die Redaktion eine Absage erhielt, als sie ihre Berichterstattung über die Büchereischließungen fortsetzen und dafür auch mit der Büchereileiterin sprechen wollte. Das Bildungsreferat hat, so steht es in der Zeitung, das geplante Gespräch schlichtweg untersagt: Zum Thema sei alles gesagt, soll es geheißen haben.
AZ-Lokalchefin Prestle prangert nun diesen Unsinn – vollkommen zurecht – nicht nur an. Sie weist in ihrem Kommentar auch darauf hin, dass der Maulkorb für die Büchereileiterin beileibe kein Einzelfall ist. Zitat: „Solche Stellungnahmen hört man inzwischen häufig – vor allem, wenn es um kritische Themen geht.“ Auskunftsberechtigt seien oft nur noch die Referenten, die Amtsleiter, also die eigentlichen Fachleute, blieben außen vor. Das ganze steht in einem gewissen Widerspruch zur AGA, der Allgemeinen Geschäftsanweisung, laut der Amtsleiter zu Presseauskünften berechtigt sind. Lediglich bei politischen Wertungen haben sie sich zurückzuhalten.
Ob die Büchereileiterin dies im konkreten Fall getan hätte? Man kann darüber spekulieren. Sicher ist aber eines: Eine systematische Behinderung der Presse, wie es sie gegenwärtig zu geben scheint, ist nicht hinnehmbar, der Schritt der AZ, die Maulkorbaffäre öffentlich zu machen und anzuprangern daher lobenswert.
Was muss nun weiterhin geschehen? Die Antwort auf die Infoblockade im Rathaus muss der Qualitätsjournalismus sein, für den die AZ immer stand. Es sind ja nicht irgendwelche Netzbürger mit Frustrationshintergrund, die hier berechtigte Fragen an die Stadtpolitik stellen, sondern gut ausgebildete und verantwortungsvolle Redakteure eines regionalen Leitmediums. Das bedeutet, weiter, intensiver und pointierter über kritische Themen zu berichten. Noch mehr zu recherchieren. Noch mehr zu kommentieren. Und den Informationsverhinderern im Rathaus gründlich auf die Nerven zu gehen. Zum Beispiel dadurch, wirklich jeden Pipifax schriftlich bei Referenten und Bürgermeistern anzufragen – und öffentlich deutlich darauf hinzuweisen, wenn zeitnah keine sachgerechte Antwort erfolgt.
Das hat, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, schon einmal gut funktioniert. Zum Nutzen für beide Seiten übrigens.
Fortsetzung folgt.
Erratum: In einer früheren Version wurde Martina Wild als Dritte (statt richtig: Zweite) Bürgermeisterin betitelt.
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