Perspektivwechsel
Um mich nicht immer mit Politik – die wird ja auch immer dröger – zu beschäftigen, greife ich heute mal in die Kulinarik-Kiste. Und zwar, um über einen bemerkenswerten Perspektivwechsel zu berichten, den nicht ich persönlich, sondern offenbar meine Umgebung in den letzten Jahren durchgemacht hat.
Ihr findet, dieses Thema sei Käse? Ja genau. Darum geht es.
Von jeher leide ich beim Essen. Was nicht unbedingt nur daran liegt, dass man ja gerade in der Gastronomie (wenn sie nicht gerade ihre Teller mit Sternen beleuchtet oder mit Hauben bedeckt) oft den letzten Schrott serviert bekommt. Da kommt der Salat aus dem Glas, die Spätzle aus dem Vacubeutel, die Sauce aus der Tüte, die Suppe aus der Dose, der Braten aus dem Froster. Convenience nennt man das und es bedeutet im Wortsinn Bequemlichkeit.
Für viele Küchenchefs geht es aber nicht nur darum, sondern auch um bestmögliche Nutzung knappester Personalressourcen bei maximaler Produktionskapazität. Das kann ich verstehen. Aber essen mag ich es nicht.
Das ist dann schon ein Problem, aber nicht mein bedeutendstes. Was mich von jeher nervt, ist, dass ich Milchprodukte nicht verdaue. Mir fehlt da irgendein Enzym, weswegen Milcheiweiß meinen Körper unbehandelt wieder verlässt – bestenfalls auf normalem, bei zu großen Mengen allerdings auch auf gesellschaftlich nicht akzeptiertem Wege. Details erspare ich euch…
Mit Käse ist es am Schlimmsten. Schon von einem Mini-Würfelchen wird mir dermaßen übel, dass mir mittlerweile sogar der Anblick von Käse – und noch mehr der Geruch – zuwider ist. Ich habe daher zur Selbsthilfe gegriffen und begonnen zu kochen. Und meine Rezepte meinem Körper angepasst.
In den vergangenen 50 Jahren war mir dafür das Bedauern der Mitesser-Gemeinde sicher: Pizza ohne Mozzarella? Pasta ohne Parmigiano? Saucen ohne den halben Liter Sahne und das 250-Gramm-Butterflöckchen pro Portion? „Du Armer! Das muss ja furchtbar für dich sein!“ Habe ich mehr als 100.000 Mal gehört. Das war furchtbar.
Aber furchtbar ist Kochen und Essen ohne Milchprodukte gar nicht, wenn man Johann Lafers Küchenweisheit („Alle Köche sind beschissen, die sich nicht zu helfen wissen.“) verinnerlicht. Und so koche ich seit 50 Jahren eben ohne das weiße Zeug von Kuh, Schaf und Ziege. Das geht.
Und in letzter Zeit – ich würde mal sagen, seit etwa fünf Jahren – haben sich die Reaktionen auf diese Art der Küche verändert: von Bedauern auf Applaus. Seit ich dazu übergegangen bin, hin und wieder das Wörtchen „vegan“ in den Kontext meiner Rezepte zu stellen, wenn ich mal ein Essensfoto bei Facebook oder Instagram poste. Dann nämlich klickt der erkenntnisreduzierte Ex-Bedauerer beseelt den Gefällt-mir-Button. Und ich so: „Like mich am Arsch!“
Denn neben den aus der medizinischen Not geborenen „veganen“ Gerichten verarbeite (und esse) ich immer noch viel Fisch, wenig Fleisch, Teigwaren (sogar mit Ei) und anderes, was den – Achtung, Wortspiel! – eingefleischten Veganer erschaudern lässt. Und ich setze immer noch Saucen aus Knochen und Parüren an. Hauptsache, die Zutaten sind frisch, gelangen nicht über tausende von Kilometern in den Laden, sind nicht mit künstlichen Substanzen verschlimmbessert worden und passen in die Jahreszeit. Das social-Media-kompatible Label dafür lautet übrigens „bio, regional und saisonal“. Ich möchte aber keine Labels auf dem Teller, sondern gute Gerichte.
Und jetzt: Mahlzeit!
Fortsetzung folgt.
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Carlos Karluno (Donnerstag, 02 Dezember 2021 22:53)
Also wenn wir es wirklich schaffen, Euch bei uns zu bewirten, gibts nur Sachen von Bofrost. Dann sind wir aus der Haftung, wenn der Notarzt kommen muss. Ich gebe die Erkenntnisse an meine Küchenchefin weiter. Bei uns wird immer noch viel mit Creme Fraiche, Sahne und Käse gekocht - neuerdings laktosefrei, weil ich auch so Probleme mit Milchzeug entwickelt habe. Tomaten und Käse waren für mich der Horror. Tomaten sind es immer noch - Butterkäse esse ich zwischenzeitlich gerne.
Grüße - KK