Merkles Abschied

Da strahlten sie noch: Baureferent Gerd Merkel und OB Eva Weber haben augenblicklich aber höchst wenig zu lachen. (Foto: CSU Augsburg)
Da strahlten sie noch: Baureferent Gerd Merkel und OB Eva Weber haben augenblicklich aber höchst wenig zu lachen. (Foto: CSU Augsburg)

Am Nasenring durch die Empörungsarena gezerrt

Gerade erst hat die Augsburger Stadtspitze eine (wie nicht anders zu erwarten) positive Bilanz des ersten Drittels der Wahlperiode gezogen. Der Glanz von eitel Freude und Sonnenschein soll aber gar nicht Thema dieser Blogfolge sein. Es böte sich zwar durchaus an, das schwarz-grüne Rathausidyll etwas kritisch zu hinterfragen. Doch persönlich neige ich mehr zur Fußball- als zur Eishockey-Sicht der Dinge. Soll heißen: Zwischenbilanz wird zur Halbzeit gezogen, nicht schon in der ersten Drittelpause. Außerdem ist es ja gar nicht nötig, ein Rathausthema an den Haaren herbeizuziehen, wenn die Akteure dort – und nicht nur dort – sich nach Kräften bemühen, die Medien mit Stoff zu versorgen. Dabei entstanden ist ein Shitstorm grandiosen Ausmaßes: die „Causa Merkle“.

Gerd Merkle, ist ein Augsburger Gewächs: Von 1978 bis 1982 studierte er Architektur an der Hochschule Augsburg. Nach seinem Abschluss als Diplomingenieur (FH) begann er ein aufbauendes Studium an der TU München, das er 1985 mit dem akademischen Grad Diplomingenieur (Univ.) beendete. Parallel machte er eine Maler- und Lackiererlehre. Nach ersten Erfahrungen als Mitarbeiter in zwei Augsburger Architekturbüros und als Schulleiter  an der Meisterschule für Bauberufe wechselte er 1986 zur Stadt Augsburg. Bevor Merkle 1996 zum Leiter des Bauprojektmanagements im Baureferat der Stadt Augsburg ernannt wurde, arbeitete er zwei Jahre als Koordinator im Stadtplanungsamt. Dort war es seine eigentliche Aufgabe, das damals „rote“ Baureferat und den ungeliebten, 2021 verstorbenen Baureferenten Rudolf Saule (SPD) daran zu hindern, die Stadtpolitik des neuen, „schwarzen“ OB Dr. Peter Menacher zu torpedieren. 2008 wurde Merkle dann folgerichtig selbst Stadtbaurat.

Das blieb er auch, als Eva Weber (CSU) vor zwei Jahren Dr. Kurt Gribl beerbte und an die Stadtspitze rückte. Weber hätte ihn gerne für die komplette Wahlperiode an der Spitze der Bauverwaltung und als dritten Bürgermeister gesehen. Dazu kam es jedoch aus vielerlei Gründen nicht, sodass Merkle im kommenden Jahr in den Ruhestand gehen wird. Vorher machte er der Stadt allerdings noch eine Rechnung auf, die es in sich hat: Für rund 4500 Überstunden, die er in seinen Jahren als Verwaltungsmitarbeiter auf seinem Arbeitszeitkonto ansammelte, forderte er eine Abgeltung von rund 200.000 Euro.

Die wurde ihm im Personalausschuss des Stadtrates auch zugestanden. Grundlage war eine Dienstvereinbarung, 2004 geschlossen zwischen dem Personalrat und dem damaligen OB Paul Wengert (SPD) und 2011 unter OB Kurt Grill (CSU) reformiert. Darin ist vorgesehen, dass städtische Bedienstete auf Langzeitkonten Mehrarbeit ansammeln können, um beispielsweise Sabbatjahre oder einen früheren Ruhestandsbeginn zu ermöglichen.

Für die in der Wengert-Amtszeit finanziell chronisch klamme Stadt (die Rechtsaufsicht hatte damals neue Kredite und die Schaffung neuer Planstellen untersagt) hatte dies nur Vorteile: Aufgaben konnten auch ohne Stellenmehrung erledigt werden, Personal(mehr)kosten wurden praktisch in einen Arbeitszeit-Schattenhaushalt verschoben. Einen fatalen Geburtsfehler hatte diese Regelung jedoch: Ein Verfallsdatum und eine Höchstgrenze für das Zeitkonto waren – anders als in der freien Wirtschaft üblich – nicht vorgesehen. Und als Referent, also kommunaler Wahlbeamter, konnte Merkle seine im Angestelltenverhältnis entstandenen Überstunden nicht „abfeiern“. Das lässt das Beamtenrecht nicht zu.

Damit kommt nur ein finanzieller Ausgleich in Betracht, was die Stadträte grummelnd zugestanden, ihre Entscheidung allerdings der Regierung von Schwaben zur rechtaufsichtlichen Prüfung zuleiteten. Die wird nun das letzte Wort haben – wenn es nicht noch zu einer verwaltungsgerichtlichen Klärung kommt.

Was nun Brisanz in die Affäre brachte, ist die Tatsache, dass der Beschluss aus der nichtöffentlichen Ausschusssitzung umgehend von mindestens einem der teilnehmenden Stadträte an die Presse weitergetratscht wurde – und der Shitstorm nahm seinen Lauf. Er manifestierte sich nicht nur in einer wahren, von Sachkenntnis kaum getrübten  Leserbriefflut in meiner Lieblingszeitung. Auch bundesweit griffen Presseorgane die Berichterstattung auf, die im Wesentlichen auf ein umfassendes Merkle-Bashing hinausläuft. Dem einfachen (aber hier vollkommen unzutreffenden) Denkmuster „(fauler) Beamter – Politiker – Extra-Einkommen – CSU – Filz – Bereicherung – Skandal!" konnten wohl die wenigsten Schreiber widerstehen. Und auch die Politiker haben sich argumentativ nicht gerade mit Ruhm bekleckert: An die Spitze der aufjaulenden Pharisäer setzte sich freilich der frühere Oberbürgermeister Paul Wengert (SPD) in einem Interview mit der daz: „Er versucht eben, das Maximale rauszuholen. Wenn er sich damit im Recht fühlt, soll er Klage gegen die Stadt erheben", so der am Lech in Glanz und Gloria gescheiterte Ex-OB mit beeindruckender Scheinheiligkeit.

Um in der Causa Merkle nun ein paar relativierende Gedanken aufzugreifen, hier einige Thesen:

1. Gerd Merkle war nicht nur als Referent, sondern zuvor auch schon als städtischer Angestellter als „Arbeitstier“ bekannt.

2. Persönliche Bereicherung ist Merkles Sache nicht. Im Gegenteil: Erinnert sei hier nur an die beiden großen Lorbeerbäume in Pflanzkübeln, die 2002 für 13.000 Euro angeschafft wurden, um das Rathausportal verschönernd zu flankieren. Damals brach ein Sturm der Entrüstung über die vermeintliche „Verschwendung“ aus, der „Bund der Steuerzahler“ erwähnte sie sogar in seinem berüchtigten „Schwarzbuch“. Merkle befand damals, die Bäume sähen gut aus und sorgte dafür, dass ein offiziell unbekannter Spender, hinter dem sich niemand anders als er selbst verbarg, die Kosten übernahm.

3. „Abfeiern“ konnte Merkle den Überstundenberg nicht, da sein Wechsel ins kommunale Wahlbeamtenverhältnis nicht absehbar war.

4. Eine Verjährung von Forderungen ist in der städtischen Dienstvereinbarung nicht vorgesehen, käme bürgerliches Recht zur Anwendung, wäre sie noch nicht eingetreten.

5. Die Unterstützung für den attackierten Baureferenten lässt zu wünschen übrig: Die Grünen gewähren nur vordergründig Rückhalt, die dünnhäutige Reaktion der OB auf die Indiskretion und politische Kritik ist kontraproduktiv.

6. Die Empörung über Merkles Forderung ist eine reine Neid-Debatte.

Letztere hat allerdings Folgen, vor allem beim städtischen Personal: Denn der scheidende Baureferent ist nicht der einzige Bedienstete, der einen Überstundenberg vor sich herschiebt. Viele haben in Zeiten von Corona und durch die Bewältigung des Flüchtlingsansturms aus der Ukraine bereitwillig und gerne Mehrarbeit geleistet, die sie irgendwann natürlich auch honoriert sehen möchten. Große Überstundenberge sind in der Augsburger Stadtverwaltung keine Seltenheit, und die Bediensteten gehen damit durchaus unterschiedlich um. So wird zum Beispiel von einem ehemaligen Stadtdirektor berichtet, der sich nur die Hälfte der ihm zustehenden Gelder auszahlen ließ und den Rest – wenigstens steuermindernd – an die Stadt spendete. Das Gemeinwesen profitiert eindeutig vom Engagement seiner Beschäftigten.

Die fragen sich nun freilich, ob sie das auch in Zukunft noch tun sollen. Denn Lust, am Nasenring öffentlich durch die Empörungs-Arena gezerrt zu werden, hat keiner von ihnen.

Fortsetzung folgt.

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Kommentare: 2
  • #1

    Finja (Dienstag, 17 Mai 2022 00:05)

    Danke für diesen übersichtlich und gut geschriebenen Text! Ich bin heute auf die Geschichte gestoßen und wollte etwas mehr darüber herausfinden, da bin ich auf Sie gestoßen, sehr praktisch. Allerdings frage ich mich, wie die Überstunden-Regelung als Angestellter im öffentl. Dienst aussieht. Ich habe das dazu gefunden: https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayAzV/true - finde dort aber keine Informationen zur Vergütung von Mehrarbeit. Wissen Sie mehr dazu? Danke und viele Grüße!

  • #2

    Dieter Mitulla (Dienstag, 17 Mai 2022 16:11)

    Danke für das positive Feedback. Zu Ihrer Frage: Nach meinem Wissensstand wird aus dem Monatsgehalt (brutto) und der vereinbarten Wochenarbeitszeit ein Stundensatz errechnet. Ausgehend von 4,33 Wochen pro Monat und einer 40-Stunden-Woche wird der Lohn für eine Überstunde so berechnet: (Gehalt in Euro) : 4,33 : (40 Stunden) = Ausgleichsbetrag pro Stunde. Dieser Betrag ist bei Auszahlung zu versteuern.