Die Pöbler von Nebenan
Das soziale Netzwerk nebenan.de gilt – verglichen mit den zu Pöbelplattformen degenerierten Geschwistern Twitter und Facebook – als eine Art Insel der Seligen und Moderaten. Anders als bei F&T melden sich dort die Nutzer mit ihren realen Namen an, Kommunikation ist innerhalb sogenannter „Nachbarschaften“ möglich, wobei immer der volle Name und die Adresse der Postersteller sichtbar sind. Nutzer können auf Wunsch auch noch in benachbarten Stadtvierteln lesen, sehen dann aber nur abgekürzte Namen. Die Themen drehen sich um das Leben in den Stadtvierteln – die Baustelle nebenan, die Suche nach passenden Einweckgläsern oder die Frage nach einer Friseur-Empfehlung. Daneben gibt es noch die Möglichkeiten, Gruppen Gleichgesinnter zu gründen, Vereine zu präsentieren, es gibt einen Marktplatz für Verkaufsanzeigen und einen Veranstaltungskalender. Irgendwie erinnert die Plattform mit ihren Inhalten an die Kunden-Anschlagtafeln in Supermärkten.
Auch ich habe seit einiger Zeit einen nebenan-Account und habe damit meinen Italienisch-Konversationskurs etwas beworben, bin – ganz banal – ein paar nicht mehr benötigte Blumentöpfe losgeworden und habe einer frisch Zugezogenen einen Tierarzt empfohlen. Man sieht: Eigentlich geht es auf nebenan.de für Internetverhältnisse recht idyllisch und zivilisiert zu. In meiner Nachbarschaft „Herrenbach & Umgebung“ änderte sich dies abrupt, als vor etwa einer Woche der Nutzer Martin sich beklagte, er habe vom städtischen Ordnungsdienst ein 15-Euro-Bußgeld aufgebrummt bekommen, da er auf den Wegen am Kuhsee mit seinem Rad schneller als in Schrittgeschwindigkeit gefahren sei. Lassen wir ihn selbst erzählen: „Mir geht es nicht um die 15€, ich finde es einfach nur eine bodenlose Unverschämtheit, wie man mittlerweile abgezockt und transaliert wird! Wenn der Kuhsee gut besucht ist, kann ich diese Regelung nachvollziehen. Diese gilt angeblich seit 4 Wochen, wovon ich nichts mitbekommen habe. Aber wenn nahezu kein Mensch unterwegs und somit auch gefährdet wird ist das einfach nur absolut übertrieben, meines Erachtens. Also fahrt vorsichtig Fahrrad dort, sonst werdet ihr ebenfalls wie ein Verbrecher aufgehalten und gerügt…" Soweit Martin im O-Ton. Was an diesem Post außergewöhnlich ist: Auf den Beitrag antworteten insgesamt 118 Nachbarn, die Diskussion mit steigender Schärfe, die schließlich sogar in Beleidigungen („Hohle Nuss“; „lauter schwachsinnige Idioten") gipfelte, erstreckte sich über Tage.
Grob lassen sich in der Debatte zwei Fraktionen ausmachen: Die Fußgänger, die sich gefährdet und drangsaliert fühlen, sich mit dem Sprung zu Seite in Sicherheit bringen mussten und die ihre Haustiere beim Gassigehen mit kräftigem Leinenreißen vor den Rad-Rambos retten mussten. Auf der anderen Seite die Radler, die im Wesentlichen darauf bestehen, sich ihre eigenen Regeln machen zu dürfen („Wenn sonst keiner unterwegs ist...“; „Schlimm, was müssen wir uns denn noch alles gefallen lassen?“) oder Unkenntnis reklamieren („Wo steht das?“).
Dabei stehen rund um den Kuhsee Schilder, die zur Einhaltung der Schrittgeschwindigkeit anhalten, und die Kontrollen und die Bußgeldaktionen wurden vorher ausführlich in der Tageszeitung angekündigt. Aber auch das wurde in der Diskussion angezweifelt: “...klingt mir fast wie frei erfunden“, so der Nutzer Stefan.
Am Ende der nutz- und teilweise sinnlosen Auseinandersetzung steht eine Erkenntnis, die jeder auch selbst durch Nachlesen (Registrierung erforderlich) überprüfen kann: Viele Radler sind mit der irrwitzigen Hybris unterwegs, die besseren Menschen zu sein, denen alles erlaubt ist. Sie in die gesetzlichen Schranken zu verweisen ist eine echte Zukunftsaufgabe für die Ordnungsbehörden dieser Stadt. Und das heißt: Macht weitere und mehr Kontrollen, kassiert Bußgelder und setzt Recht und Gesetz durch. Für alle.
Fortsetzung folgt.
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Der Peter (Montag, 13 Juni 2022 23:01)
Unterschreibe ich 100-prozentig. Eine zunehmende Unsitte ist es leider auch, mitten in der Altstadt den Gehweg als Radweg zu missbrauchen und dann auch noch Fußgänger anzupöbeln, die nicht sofort zur Seite springen, wenn der Herr oder die Dame mit Tempo 30 angeradelt kommt. Hier wünsche ich mir mehr Präsenz des Augsburger Ordnungsdienstes, vor allem auch im Bereich Hoher Weg/ Frauentorstraße und am Königsplatz.
Miriam (Dienstag, 21 Juni 2022 12:23)
Leider haben sich die Radler das selbst zuzuschreiben. Natürlich wäre es bei gesundem Menschenverstand sinnvoller, sie bei leeren Wegen (weiterhin) so schnell radeln zu lassen, wie sie möchten. Allerdings kann ich als Hundebesitzerin gut bestätigen, dass einige Radler das auch bei vollen tun - oder wenn gut sichtbar winzige Kinder oder Hunde herumspringen - also selbst zu lange keinen gesunden Menschenverstand walten liessen. Mich nervt dennoch all dies: Warum muss man wegen einigen solcher Idioten nun wieder alle mit bei leeren Wegen natürlich völlig sinnlosen Einschränkungen, Regeln und Strafen drangsalieren. Gibt es denn da keine besseren Auswege?